Die ersten 50 Jahre
1892
SOCIETE FIDELITAS NON PLUS ULTRA, so lautete der Name der Gesellschaft bei ihrer Gründung am 1. Mai. Wahrlich eine recht selbstbewusste Bezeichnung für ein Gebilde, das ohne jeden Anspruch auf eine historische, politische oder gar wirtschaftliche Bedeutung entstand und immer noch besteht. Betrachtet man die damals spontan formulierte Zielsetzung, die Hebung der Fidelität etwas näher, so erkennt man, dass das Bedürfnis nach unbeschwerter Fröhlichkeit allein und "ohne jeden tiefschürfenden, tierischen Ernst im Nacken" Gründung und Bezeichnung durchaus rechtfertigt.
Dass dem immer noch so ist, bestätigen die Langlebigkeit und die Aktivitäten der Gesellschaft in der heutigen Zeit. Trotzdem lautet der Name der Gesellschaft ab dem Jahre 1905 etwas bescheidener FIDELITAS LUZERN, später und bis heute FIDELITAS LUCERNENSIS. Über die Entstehung der Gesellschaft "als Folge einer weinschweren Sitzung im Hotel Rütli am 1. Mai 1892" berichtet das erste Sitzungsprotokoll das Folgende: :
"In Anbetracht und in Würdigung der gehobenen Stimmung mehrerer, heute den 1. Mai 1892, beim lieben "Toneli" zum Hotel Rütli versammelten Gäste und in Erwägung des absolut constatierten mangels einer fein organisierten, mit allen geistigen Waffen des 19. Jahrhunderts wohl ausgerüsteten Macht zur Hebung der Fidelität und in Einsicht der strikten Notwendigkeit, diesem Übelstande in geeigneter Weise Abhilfe zu verschaffen, wird einstimmig und mit Acclamation beschlossen:
- Es sei sofort ein Verein zu gründen, welcher das Ziel "Förderung der Fidelität" zu verfolgen hat und ernstlich bemüht sein soll, in dieser Richtung das Versäumte nachzuholen und mit allen Fortschritten der Neuzeit, somit auch auf dem Gebiet der veredelten Fidelität, ebenbürtig Schritt zu halten und auf neue Erzeugnisse der Kunst auf diesem Gebiete zu trachten, welche patentiert und cassamässig prämiert werden sollen.
- Es sei dem Verein der Name "FIDELITAS NON PLUS ULRA" zu geben.
- Es sei die Leitung einem fünfgliedrigem Vorstande anheim zu geben.
- Es sei von letzterem ein Statutenentwurf auszuarbeiten und der nächsten Generalversammlung vorzulegen.
- Es sei vorläufig das Eintrittsgeld auf 50 Cts. gestellt.
- Es sei über Bussen für Absenzen etc. ein eigenes Reglement aufzustellen, dessen Genehmigung der Generalversammlung unterstellt ist.
Es folgten die Namen von 14 Herren die, nachdem sie alle die vorgeschriebene Eintrittsgebühr (offenbar für die ersten Monate 1892 geltend) von 50 Cts. entrichtet, einstimmig und mit Enthusiasmus in den Verein aufgenommen werden. Der Vorstand machte sich gleich ans Werk, und so entstanden die ersten Statuten. Entsprechend der Einmaligkeit der gegründeten Gesellschaft, bei deren Entstehung Bacchus und Gambrinus offensichtlich kraftvoll zu Gevatter standen, sind alsogleich die ersten Schritte zur Hebung der Fidelität beschlossen worden. Am nächstfolgenden Montag wurde ein feierliches Mahl zur Einweihung des neuen Bundes einerseits sowie zugleich zur Eröffnung des neuen "Rütli"-Saales andererseits abgehalten. Das Protokoll meldete hierüber allerdings, dass der Herr Präsident vorerst durch Abwesenheit glänzte, und, als er drei volle Stunden später erschien, bereits defect war. Die Besitzerfamilie zur damaligen Zeit; und das Hotel Rütli als solches bis auf die Neuzeit, sind mit der Geschichte der Gesellschaft eng verbunden.
1893
Die nächste Sitzung war insofern bedeutsam, als beschlossen wurde, am 30. Januar die erste Bööggensitzung abzuhalten und dazu auch die Mitglieder des Löblichen Tugendbundes (TB) einzuladen. Welchen Geistes die Tugenden dieses löblichen Bundes waren, konnte nicht mehr herausgefunden werden. Jedenfalls fusionierten die beiden Vereine unter der Bezeichnung Gesellschaft FIDELITAS NON PLUS ULTRA, so dass diese bereits über einen ansehnlichen Mitgliederbestand verfügte. Das Protokoll hierüber schliesst jedoch mit dem zweifelhaften Ausruf: "Addio! Viva il 30 gennaio 1893!"
Bedenklich war der Ausruf insoweit, als hier die Protokolle plötzlich bis 1897 schweigen. Die kaum gegründete Gesellschaft scheint eine Krise durchgemacht zu haben. Jedenfalls ist im Mitgliederverzeichnis von 1897 mit zwei Ausnahmen keiner der Gründer mehr zu finden.
1897
Der neue Vorstand nahm die Absichten der Gründer wieder auf und baute sie weiter aus. So wurde beschlossen, alljährlich eine Fasnachtsunterhaltung im Hotel Rütli abzuhalten und sich aktiv am grossen Fritschizug "Nord und Süd" zu beteiligen. Aus der Fasnachtsunterhaltung entstand später der kleine Maskenball als eigene Domäne der Fidelitas-Mitglieder und ihrer Angehörigen, die auch eifersüchtig darüber wachte, dass dieser intime Anlass nur für sie reserviert blieb. Der Name Fidelitas war von nun an untrennbar mit der Luzerner Fasnacht verknüpft. An diesen ersten Umzügen, die den Fritschiwagen begleiteten, waren ausser der Safranzunft und der Maskenliebhaber-Gesellschaft eine Reihe weiterer Vereine beteiligt, so die Stadtmusik, die Schützengesellschaft, der Unteroffiziersverein, die Gesellschaft Eintracht und eben seit 1897 in hervorragender Weise auch die Gesellschaft Fidelitas. Im gleichen Jahr wurde auch die Durchführung der kleinen Maskenbälle oder Familienabende protokollarisch erfasst. Schon damals sind Maskenprämierungen durchgeführt worden. Mit dem Ertrag aus den Bällen wurden vor allem die Beteiligung an den Fasnachtsumzügen finanziert, aber entsprechend den Statuten auch Vergabungen zu wohltätigen Zwecken vorgenommen. Das gilt auch heute noch. Neben dem fasnächtlichen Treiben, das sich im wesentlichen vor allem nach aussen abspielte, dienten insbesondere die gesellschaftsinternen Anlässe der Pflege der Freundschaft und Fidelität. In den Gründerjahren fanden wie andernorts die Sitzungen noch unten im Restaurant Rütli statt. Alles ging zwanglos und fröhlich vor sich, und die alten Protokolle sind voll von heiteren Wortgefechten, die sich Vorstand und Mitglieder gegenseitig lieferten.
1910
Die Einführung der Herrenabende erfolgte ungefähr zur gleichen Zeit wie die Umbenennung des Vorstandes zum Stubenrat. Erstmals war auch die Rede von einem Stubenmeister anstelle des Präsidenten. Diese Benennung erachtete man als angebracht, weil sich der Verein in die oberen Räume des "Rütli" verzog und die Versammlungen damit einen offiziellen Anstrich bekamen. Die Fasnachtsanlässe, Herrenabende, Versammlungen und Ausflüge wurden in der Folge regelmässig durchgeführt. Neben den genannten Anlässen gewann die Gesellschaft auch auf anderen Gebieten nun vermehrt Bedeutung und wurde zu kulturellen oder historischen Anlässen zugezogen.
1912
Die Feier des 20-Jahr-Jubiläums wurde auf 1917 verschoben in der Meinung, das 25-Jahr-Jubiläum könne dann 1917 um so ausgiebiger gefeiert werden. Damals ahnte man noch nicht, dass sich alsdann die ganze Welt in Aufruhr und Kriegszustand befinden würde. Von einer Festivität wurde Abstand genommen und nur am Herrenabend ein besseres Menü serviert, nämlich Suppe, Rindspfeffer, Kartoffelstock und Spaghetti.
1922
Des 30-Jahr-Jubiläums wurde in gleicher Weise gedacht, weil die Kasse durch zwei grosse Umzüge (Müller-Zunft und Sängerfest) geschwächt war.
1932
Wiederum begnügte man sich mit einem Kurzen Marschhalt zum Gedenken an die 40-Jahr-Feier.
1942
Zum 50jährigen Bestehen der Gesellschaft hat Viktor Kreyenbühl in verdankenswerter Weise die Denkschrift "50 Jahre Gesellschaft Fidelitas Luzern" verfasst. In der Schrift steht zu lesen: Heute, da wir uns anschicken, das 50jährige Bestehen der Gesellschaft zu feiern, ist es von Interesse zu sehen, was vorhergehende Generationen in dieser Hinsicht getan haben. Leider hat den Berichterstatter ausgerechnet bei diesem Thema der Humor plötzlich verlassen, und es fällt ihm schwer, einen Lichtblitz in diesen wichtigen Abschnitt hineinbringen zu können. Erstens scheint es ein bösartiges Schicksal zu wollen, dass alle diese grossen Tage in Zeiten grausiger Kriege und Zerstörungen fallen und zweitens muss er mit sorgenvollem Stirnrunzeln feststellen, dass das Interesse der Mitgliedschaft diesen Merktagen gegenüber fast immer ein äusserst mässiges war. Immerhin fand am 28. November im Rahmen des Herrenabends die Jubiläumsfeier 50 Jahre FIDELITAS statt. Für deren Vorbereitung benötigte man neben dem Vergnügungskomitee eine spezielle Jubiläumskommission. Dass unter solchen Voraussetzungen ein Ereignis erster Güte entstand, verwundert kaum. Man gab sich der Fröhlichkeit und dem Genuss hin und liess für einmal auch die musizierenden Brüder daran teilhaben, während Seppi Amreins Jubiläums-Kapelle an ihrer Stelle den musikalischen Teil bestritt. Die finanzielle Seite dieses Anlasses ergab folgendes Bild:
Vor der Generalversammlung bewilligter Kredit: Fr. 1545.-
Aufwand:
78 Essen zu Fr. 5.- | Fr. | 390.-- |
Weinzugabe | Fr. | 160.-- |
Vergnügungskomitee | Fr. | 350.-- |
Musik | Fr. | 120.-- |
Jubiläumsschrift | Fr. | 380.-- |
Diverses, Einladungen usw. | Fr. | 147.55 |
Total Aufwand | Fr. | 1547.55 |
Mehrausgaben gegenüber bewilligtem Kredit | Fr. | 2.55 |
Die zweiten 50 Jahre
Auch hier steht am Anfang (1942) das schreckliche Ereignis des Zweiten Weltkrieges. Selbst wenn man sich bemüht, an den Versammlungen und den wenigen noch stattfindenden Anlässen den Humor nicht gänzlich untergehen zu lassen, taucht in den Protokollen und Berichten immer wieder der Vermerk auf, dass mehrere Mitglieder abwesend waren, weil sie die Suppe der Mutter Helvetia essen müssten.
1943
In einem Sitzungsprotokoll vom 27. März wird ausgeführt, dass während der letzten Jahre ein Drittel der Mitglieder den Austritt aus unserer Gesellschaft genommen haben, und zwar verschiedene ältere Brüder, denen die Beitragsleistung von 15 Franken als zu hoch erschien. In der zweiten Hälfte der 40er Jahre normalisierte sich das gesellschaftliche Leben wieder. Die statutarischen Anlässe konnten unter besten Voraussetzungen durchgeführt werden. Je nach den Neigungen der Chargierten erhielten die Versammlungen und übrigen Anlässe inskünftig wieder mehr oder weniger witzige und humorvolle Noten. Hier nur ein Müsterchen:
Was der Klaus ist für die Kinder
was der Segen für die Sünder,
was der Baum ist für das Hündchen,
was der Kuss ist für das Mündchen,
was dem Jäger ist der Hase,
was dem Kamel ist die Oase,
was die Tasten fürs Klavier,
was für den Stuhlgang das Klistier,
esch för üüs am Samschtig Zobig
weder öise Herrenobig.
Protokolle und Berichte über die nächsten Jahre brachten, ausgenommen die Jubiläen, wenig Neues. Bei den traditionellen Anlässen traten dagegen immer wieder neue Talente in Erscheinung, die in Form von Produktionen aller Art, bzw. mehr oder weniger ernsthaften Sprüchen, zur Hebung der Fidelität beitrugen. Zeitweise hatte man aber bei der Auswahl der Neuen - wie das überall etwa geschieht - nicht unbedingt eine glückliche Hand, oder es wurden gute Kandidaten vom Volk demonstrativ abgelehnt. Das soll es ja auch in der hohen Politik geben.
1951
Im Herbst schlossen sich nach längeren Verhandlungen die Zunft zu Safran, die Maskenliebhaber-Gesellschaft der Stadt Luzern und die Gesellschaft FIDELITAS LUCERNENSIS auf Anregung der letzteren mit der Wey-Zunft zu einer gemeinsamen Organisation zusammen, die bis heute für die Durchführung der Luzerner Fasnachtsumzüge besorgt ist.
1952
Das 60jährige Bestehen der Gesellschaft FIDELITAS feierte man am Jubiläums-Herrenabend vom 6. Dezember. Aus diesem Anlass wurde die von den Fidelitas-Frauen gestiftete und von Altstubenmeister Edy Renggli sen. entworfene zweite Fahne eingeweiht.
1967
Des 75. Geburtstages der Gesellschaft gedachte man im Hotel Tivoli. Die Verantwortlichen hatten einen festlichen Anlass auf die Beine gestellt, der bei entsprechendem Aufwand den üblichen Rahmen sprengte. Man war etwas Besseres geworden, konnte sich die reine Männergesellschaft doch dazu durchringen, das Fest mit ihren Damen zu feiern. Das war gar nicht so selbstverständlich, denn traditionellerweise hatten diese bisher nur zu fasnächtlichen und Familienanlässen Zutritt.
1979
Die Gesellschaft FIDELITAS LUCERNENSIS hat nun ihr eigenes Gesellschaftslokal, die Turmstube! Die glanzvolle Eröffnung der Räume im Rathausturm fand am 17. Oktober statt. Diese Tatsache bildete einen Höhepunkt im Bestehen der Gesellschaft und wird in einem anderen Kapitel noch besonders gewürdigt werden.
1980
Die 80er Jahre machten keine grosse Geschichte. Man kehrte nach den Turm-Feiern zu den aufgrund der neuen Statuten etwas modifizierten, aber immer noch der alten Tradition verpflichteten Anlässen zurück. Was in Form eines Jahresrückblickes über das Leben in der Fidelitas gesagt wurde, mag auch für einen grösseren Zeitabschnitt Geltung haben:
Das alte Jahr gab viele Nüsse
uns zu knacken
und manchen Gump hat es uns
abgerungen.
Doch nun am Schluss, so beim
Zusammenpacken,
sei trotzdem ihm ein Kränzlein
noch gewunden.
Nicht Amor nur meint's gut es mit
uns Knaben.
Auch Bacchus hat das
Seine beigetragen.
In tausend Kellern stehet Fass an Fass;
für uns, Ihr Brüder der Fidelitas.
Manch köstlich Tropfen ist in
selbigen enthalten;
voll Kraft, die Geist und Herz
Macht springen
und uns das ewig neue Lied
lässt singen
Von Grindelwald und seinen
Gletscherspalten.
So wollen wir getrost
dem neuen Jahr zu schreiten
und nicht uns sorgen über
dies und das.
Es sollen leben wie zu allen Zeiten
Humor und Schabernack
in der Fidelitas!
1992
Die Fidelitas LUCERNENSIS wurde 100 Jahre alt.